Giftspur by Daniel Holbe

Autor:Daniel Holbe [Holbe, Daniel]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783426421598
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2014-01-23T23:00:00+00:00

Es war längst tiefe Nacht, und über dem Flussbett lagen dichte Nebelschwaden. Sabine Kaufmann hatte ihren Wagen auf dem Bordstein in einer engen Seitenstraße abgestellt und schritt gemächlich über den Asphalt. Ihre Absätze klapperten in der Stille der einsetzenden Nacht unangenehm laut, und die Kommissarin war dankbar für jedes Hintergrundgeräusch. Das metallische Rauschen eines vorbeirasenden Güterzugs, ein rangierender Lkw, das lautstarke Heulen aufgemotzter Motoren auf der Friedberger Straße zwischen Tankstelle und McDonald’s … Und doch waren ihre Schritte unüberhörbar.

Angst verspürte sie im Grunde genommen nicht, denn Sabine hatte sich im vergangenen Jahr mit Krav Maga befasst, jener Selbstverteidigungstechnik, die wie kaum eine andere auf engen Körperkontakt und verbissener Nahkampftechnik beruhte. Polizei, Militär, aber zunehmend auch Zivilpersonen wandten Griffe und Methoden daraus an. Für eine vergleichsweise kleine Person wie Sabine erschien es als die ideale Technik. Sie fühlte sich also nicht auf dem Servierteller für im Nebel lauernde Meuchelmörder, sosehr die Szenerie auch daran erinnern mochte.

Die Kommissarin passierte eine kleine Burg, deren Fassade sich, unheimlich wie das Haus der Baskervilles im nebelüberfluteten Moor, aus dem Wassergraben reckte. Zwei Enten flogen kreischend auf, dann erreichte sie endlich den geschotterten Weg, und das Klappern verebbte. Krav Maga hin oder her: Beklommenheit stieg in ihr auf. Dem verwaschenen Schein der in weitem Abstand aufgestellten Laternen folgend, erreichte Sabine eine holzverkleidete Brücke, die sich von der Ostseite der Burg über die Nidda spannte. Eine Litfaßsäule mit abgerissenen Plakaten stand im kargen Gras, wenige Meter weiter gluckste leises Wasser. Sie wandte sich nach links und folgte dem Uferpfad. Über diese Brücke musste Reitmeyer gekommen sein und hatte bis dato schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt.

Sabine verharrte kurz, zog sich den rechten Handschuh aus und öffnete ein Programm auf dem Touchscreen ihres Smartphones. Eine Landkarte füllte den kleinen Bildschirm, auf ihr zentrierte sich mit einem Fadenkreuz der aktuelle Standort. Sabine schaltete die Anzeige auf Luftbild um, wartete, bis die Daten geladen waren, und scrollte dann mit dem Zeigefinger nach Nordosten, so lange, bis die Bundesstraße und der Weidenhof zu erkennen waren. Sie markierte den Hof und wies die Funktion an, die kürzeste Route zu Fuß zu berechnen. Zehn Sekunden vergingen, offenbar kämpfte die App mit dem mobilen Datenempfang, dann zeigte sie das Ergebnis an. Sechs Komma drei Kilometer, stellte sie beeindruckt fest. Ulf Reitmeyer musste tatsächlich in gutem Training gestanden haben. Laufe ich in zwanzig Jahren auch noch so viel? Und, eine weitaus wichtigere Frage, hatte Reitmeyer den ganzen Weg über nichts gemerkt? Wenn er, wovon Hack ja mittlerweile ausging, das Opfer eines Angriffs mit herzwirksamen Glykosiden geworden war, hatte es tatsächlich so lange gedauert, bis er sie verstoffwechselt hatte? Andererseits … Sabine rechnete kurz nach. Mit einem Jogging-Tempo von zwölf Stundenkilometern hätte er eine halbe Stunde bis hierher gebraucht, und vermutlich hatte seine Laufgeschwindigkeit sogar höher gelegen. Sie ließ das Handy wieder verschwinden, zog den Handschuh über und entschied, hierüber noch einmal mit dem Rechtsmediziner zu sprechen.

Sabine beschleunigte ihre Schritte, denn sie fühlte sich zunehmend unwohl, so mutterseelenallein auf diesem düsteren Weg, daran änderten ihre Dienstwaffe und diverse Nahverteidigungstechniken, die sie beherrschte, auch nichts.

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